Myalgische Enzephalomyelitis (ME)Sofort erschöpft


Aktuelles: Interview – Chronische Erschöpfung bei MS

Große Ähnlichkeit mit der ME hat die chronische Müdigkeit und Erschöpfung (Chronic Fatigue), die im Rahmen einer Multiplen Sklerose (MS) auftreten kann. Der Film zeigt ein Interview mit Frau Gaudin* beim Multiple Sklerose Online Kongress 2019. Darin erklärt sie

  • die wichtigsten Unterschiede zu Burnout, Depression und HPU,
  • die wichtigsten Symptome und
  • Ursachen des Erschöpfungssyndroms.

Wenn kleinste Anstrengungen zu massiver Erschöpfung führen

„Eigentlich habe ich doch fast nichts gemacht. Und trotzdem fühle ich mich völlig erschöpft!“ So oder ähnlich erleben es Patienten, die – meist ohne es zu wissen – unter Myalgischer Enzephalomyelitis (ME) leiden. Die meisten ME-Patienten, die zu mir in die Praxis kommen, sind zunächst ausgesprochen verzweifelt und ratlos. Sie verstehen einfach nicht, was mit ihnen los ist, und leiden unter einer ausgeprägten Existenzangst, weil ihre Krankheit sie im Alltag so sehr einschränkt.

Viele dieser Patienten waren vor ihrer Erkrankung recht aktiv, sind es gewohnt anzupacken. Und plötzlich geht nichts mehr. Die kleinste körperliche, geistige oder emotionale Anstrengung setzt sie für Tage oder gar Wochen schachmatt. Sie selbst, aber auch ihre Angehörigen, Freunde, Arbeitgeber und Kollegen, verstehen die Welt nicht mehr, vermuten fälschlicherweise Depressionen oder eine Erschöpfung bis hin zum Burnout. Das Unverständnis über die eigene Lage, lässt Zweifel aufkommen: Bilde ich mir meine Beschwerden nur ein? Wie soll ich damit umgehen? Kann meine Familie / mein Partner damit zurechtkommen?

Tatsächlich bereitet gerade das Umfeld häufig Probleme. Jeder fühlt sich einmal müde und erschöpft. Und da ME-Patienten nicht besonders krank erscheinen, sehen sie sich häufig verharmlosenden Bemerkungen ausgesetzt wie: „Das kenne ich! Ich bin abends auch immer völlig müde und erschöpft!“. Doch im Gegensatz zur „normalen“ Erschöpfung ist der ME-Patient ernsthaft krank. Er will zwar, kann aber einfach nicht. Der Körper versagt schlichtweg seine Dienste.

Was ist eine Myalgische Enzephalomyelitis (ME)?

Die Myalgische Enzephalomyelitis (ME) ist ein nur unzureichend beschriebenes Krankheitsbild, das unter dem Sammelbegriff CFS/ME subsummiert wird und nach wie vor viele Rätsel aufgibt. So wissen wir weder genau, wie häufig es ist, noch wie es entsteht. Es gibt keine Leitlinien zur Diagnose, keine spezifischen Tests und keine anerkannte Therapie.

Verantwortlich für die bisherige Zusammenfassung von ME und Chronic Fatigue Syndrom (CFS) dürften ihre vielen Gemeinsamkeiten sein – insbesondere die starke Müdigkeit und Erschöpfung, die den Patienten das Leben schwer macht. Hinzugesellen können sich folgende Begleitsymptome, die je nach Patient sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können:

  • wechselnde Gelenk- und Muskelschmerzen, wobei gängige Schmerzmittel kaum helfen
  • ausgesprochen starke Kopfschmerzen
  • Schlafstörungen
  • Wortfindungs-, Konzentrationsstörungen
  • Probleme mit dem Gleichgewicht
  • gestörte Temperaturregelung
  • erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Lärm und Licht
  • Verdauungsstörungen, ähnlich denen eines Reizdarm-Syndroms mit Übelkeit, mangelndem Appetit, Blähungen, Krämpfen, Durchfall und/oder Verstopfung

Bei näherer Betrachtung fallen jedoch einige Unterschiede auf. So steht bei der ME v.a. die Erschöpfung, beim CFS eher Müdigkeit im Vordergrund. Der entscheidende Unterschied ist jedoch: Jede noch so geringe Anstrengung führt bei ME-Patienten zu einer massiven, Tage oder Wochen anhaltenden Erschöpfung mit schwerem Krankheitsgefühl (PENE = Post-Exertional Neuroimmune Exhaustion). Das kann bis zur Bettlägerigkeit führen. In dieser Phase bringen auch Ruhe und Schlaf keine kurzfristige Besserung.

Es spricht also einiges dafür, dass es sich bei CFS und ME um zwei unterschiedliche Krankheitsbilder handelt, die z.T. auch anders behandelt werden müssen und die ich daher auch beim Vorgehen in meiner Praxis unterscheide.

Hauptmerkmale der Myalgischen Enzephalomyelitis:

massive, Tage oder Wochen anhaltende Erschöpfung mit schwerem Krankheitsgefühl
zusätzliche Beschwerden wie Schmerzen und Schlafstörungen
mitunter plötzlicher Beginn – vor allem nach Infekten
deutliche Verschlechterung selbst nach leichten Anstrengungen (PENE)

Was steckt hinter der ME?

Eingeordnet werden ME und CFS unter „Krankheiten des Nervensystems“. Wie man inzwischen weiß, ist der Begriff „Myalgische Enzephalomyelitis“, der auf eine Entzündung von Gehirn und Rückenmark hinweist, eher irreführend. Zwar leiden ME-Patienten unter Muskelschmerzen, eine Entzündung des Gehirns scheint aber nicht vorzuliegen.

Ein Mangel an Immunglobulinen und die Häufung schwer verlaufender Infektionen deuten auf eine Beteiligung des Immunsystems hin. Auffällig ist zudem, dass viele CFS/ME-Patienten einen sehr hohen Titer eines Parameters zeigen, der auf eine Spätreaktion mit dem Ebstein-Barr-Virus (Erreger des Pfeiffer-Drüsenfiebers) hinweist. Möglicherweise spielen dieser und andere Viren als Krankheitsursache und/oder -auslöser eine Rolle.

Bei einigen Patienten sind zudem bestimmte Laborwerte (LDH, CK) erhöht – spezifisch für die ME ist dies aber nicht. Auffälligkeiten zeigen sich zudem häufiger im Bereich des Energiestoffwechsels, der daher ein weiterer Ansatzpunkt in der ganzheitlichen Therapie ist.

Der Weg zur Diagnose

Leider ist die ME nach wie vor viel zu wenig bekannt, so dass Patienten oft sehr lange auf die richtige Diagnose warten müssen. Da die Patienten meist deutlich weniger krank wirken und nicht mit auffälligen Laborwerten aufwarten können, wird die Schwere ihrer Krankheit selbst von Ärzten und Therapeuten oft nicht erkannt. Bis eindeutige Labortests, Leitlinien zur Diagnose und eine adäquate Therapie vorliegen, scheint noch einige Forschungsarbeit nötig zu sein. Nur wenn diese vorliegen, ist zu erwarten, dass die ME als eigenständige Krankheit anerkannt wird. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung dürfte die CFS/ME-Forschung von Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen am Institut für Medizinische Immunologie (IMI) der Berliner Charité sein, mit der ich in regelmäßigem Austausch stehe.

Wenn Patienten mit Symptomen in meine Praxis kommen, die meinen Verdacht auf eine ME lenken, verweise ich diese auch gern zur Abklärung zu Prof. Scheibenbogen in die Immundefekt Ambulanz der Berliner Charité. Sobald die Diagnose vorliegt, kommen die Patienten zur weiteren Behandlung zurück in meine Praxis. Von dieser offiziellen Abklärung, profitieren die Patienten sowohl in medizinischer, als auch in rechtlicher Hinsicht (Anerkennung der Erkrankung, Nachweis für den Arbeitgeber …).

Für die Patienten ist die Diagnose erfahrungsgemäß ein großer Fortschritt. Sie sind erleichtert, dass sie endlich wissen, was mit ihnen los ist.

Die wichtigsten Unterschiede zu ähnlichen Krankheitsbildern

Abgegrenzt werden muss eine ME insbesondere gegenüber dem CFS, dem Chronic-Fatigue-Syndrom, Depressionen und einem Burnout. Die wichtigsten Unterschiede:

  • Anders als bei der ME entsteht das Fatigue-Syndrom (Müdigkeit) immer auf Basis einer Grunderkrankung (z.B. Krebs, Herzinsuffizienz, MS) oder belastenden Therapie (z.B. Chemotherapie). Fatigue-Patienten fühlen sich eher müde als erschöpft.
  • Im Gegensatz zur ME entsteht ein Burnout langsam auf Basis lange anhaltender Überlastung. Die für die ME typische massive und anhaltende Erschöpfung nach kleinsten Anstrengungen tritt so beim Burnout nicht auf.
  • Typisch für Depressionen sind die gedrückte Stimmung und Antriebslosigkeit. Der ME-Patient möchte zwar aktiv werden, kann aber nicht, weil sein Körper streikt. Während sich eine Depression meist schleichend entwickelt, kann eine ME plötzlich (z.B. nach Infekt) auftreten.
  • Anders als bei der CFS, treten die Beschwerden bei der ME plötzlich nach noch so kleinen Anstrengungen auf. Die Begleitsymptome sind bei der ME meist stärker ausgeprägt als bei der CFS. In Ruhe fühlt sich der CFS-Patient – anders als bei der ME – bald wieder besser. Während bei der CFS mehr die Müdigkeit im Vordergrund steht, ist es bei der ME mehr die Erschöpfung.

Wer erkrankt an der ME?

Grundsätzlich kann jeder an einer ME erkranken. Sowohl Kinder als auch Erwachsene sind betroffen, Frauen deutlich häufiger als Männer, ebenso Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Wenn bestimmte Immundefekte, Autoimmunerkrankungen oder bestimmte Erkrankungen des Nervensystems bzw. des Bewegungsapparates vorliegen, scheint dies das ME-Risiko ebenfalls zu erhöhen.

Besonders häufig tritt die ME nach bestimmten Infektionen auf, insbesondere mit dem Ebstein-Barr-Virus, Herpesviren, Enteroviren, aber auch Toxoplasmose.

Behandlung von ME-Patienten in meiner Praxis

Die Patienten sind erfahrungsgemäß schon überaus dankbar dafür, dass sie endlich auf Verständnis stoßen, ernst genommen werden und erfahren, was mit ihnen los ist. Das kann ihnen wesentlich beim Umgang mit ihrer Erkrankung helfen.

Da bislang keine anerkannte ursächliche Therapie zur Verfügung steht ist, zielt die Behandlung vor allem auf die Linderung der Symptome.

Immunsystem stärken

Aktuelle Forschungen in Norwegen und an der Berliner Charité haben vor allem das Immunsystem im Fokus (Einsatz spezieller Antikörper / Immunglobulinen). Auch in meiner naturheilkundlichen Praxis ist das Immunsystem ein wichtiger Ansatzpunkt. So weiß man z.B., dass ME-Patienten gehäuft einen Mangel an bestimmten Nährstoffen (Vitamin B1, B6, B12, Vitamin D, Eisen, Zink) aufweisen, die zum Teil für ein intaktes Immunsystem wichtig sind (Folsäure, Vitamin B6, B12, Vitamin D, Eisen, Zink). Welche Nährstoffe ich den Patienten in welcher Form (Infusion, Nahrungsergänzung) verabreiche, hängt vom Einzelfall ab. Einerseits geht es darum, fehlende Nährstoffe in einer möglichst gut verwertbaren und verträglichen Form zur Verfügung zu stellen, andererseits den ruhebedürftigen Patienten nicht mit unnötigen Praxisbesuchen zu belasten.

Energiehaushalt stützen

Bei Bedarf erhalten ME-Patienten in meiner Berliner Praxis zusätzlich Nährstoffe, die im Energiehaushalt eine Rolle spielen, wie z.B. Vitamin B1 (Thiamin), B6, B12, Vitamin C und Eisen. Hinzukommen können Substanzen aus dem Stoffwechsel der Mitochondrien („Kraftwerke der Zellen“) wie NADH, Coenzym Q10 und Ribose.


Schmerzen lindern

Für die meisten ME-Patienten stellen die Schmerzen eine besondere Herausforderung dar, die ihnen nicht selten den Schlaf raubt. Erschwerend kommt hinzu, dass herkömmliche Schmerzmittel bei vielen ME-Patienten nicht die erhoffte Wirkung zeigen. Solchen Patienten biete ich gern Procain-Basen-Infusionen und Akupunktur ein. Ziel der Akupunktur ist es, über die Reizung von Akupunkturpunkten regulierend auf den Körper einzuwirken. In meiner Praxis setze ich sie vor allem bei Schmerzen im Bewegungsapparat, aber auch bei Kopfschmerzen ein.
 

Homöopathisch unterstützen

Je nachdem, wo der Schuh im Einzelfall drückt, verwende ich gerne homöopathische Komplexmittel, um z.B. Entzündungen zu reduzieren, die Entgiftungs- und Ausscheidungsorgane anzuregen, Schmerzen zu lindern, die Abwehr zu stärken, Verdauungsbeschwerden zu lindern, Erschöpfungszustände auszugleichen oder den Schlaf zu fördern.

Ruhe und Entspannung finden

Das Wichtigste für den ME-Patienten ist Ruhe! Im Gegensatz zu CFS-Patienten, die durchaus von einer moderaten Bewegungstherapie profitieren können, sollten ME-Patienten jegliche Anstrengungen meiden.

Beim Umgang mit Stress und bei Schlafstörungen können Entspannungstechniken wie Autogenes Training, Atemtherapie oder Achtsamkeitstraining hilfreich sein. Für Patienten, denen der Umgang mit ihrer Erkrankung zu schaffen macht, kann eine psychologische Unterstützung sinnvoll sein. Hierzu berate ich sie gern.

Was sonst?

Bei ME-Patienten kommt in meiner Praxis auch immer wieder die – schulmedizinisch jedoch nicht anerkannte – Ozon-Sauerstoff-Therapie zum Einsatz, bei der ich dem Patienten ein Gemisch aus Eigenblut und Ozon-Sauerstoff verabreiche (Große Eigenbluttherapie).

Ein wichtiger Aspekt bei allen chronischen Erkrankungen ist für mich die Ernährung. Sie sollte viele Vitalstoffe enthalten und basenreich sein. In den meisten Fällen empfehle ich eine mediterrane Ernährung mit reichlich frischem Obst und Gemüse.

Hausbesuche

Wenn Patienten bettlägerig sind oder ihr aktueller Zustand es nicht erlaubt, meine Praxis aufzusuchen, biete ich meinen Patienten auch gerne Hausbesuche an.

Geduld

ME-Patienten sind chronisch krank und benötigen daher langfristige Unterstützung. Auch bei der Therapie ist Geduld gefragt – zumal die Krankheit bislang als unheilbar gilt. Ziel ist es zunächst einmal den Allgemeinzustand der ME-Patienten durch eine geeignete Therapie nach und nach zu stabilisieren und so die Lebensqualität zu verbessern. Dabei begleite ich sie gern.

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